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Am
Telefon fielen Worte wie „Bestie“ und „Monster“, um den Hund zu
beschreiben, den wir da übernehmen sollten. Na, wunderbar, das konnte
ja heiter werden.
Wenigstens hatten wir die Gewissheit, dass der Hund gleich zu einer neuen Familie käme, die schon sehnsüchtig auf ihn wartete, und nach einem jungen, aktiven Rüden gefragt hatte. Trotzdem fuhren wir mit gemischten Gefühlen zu dem vereinbarten Treffpunkt. Wir waren pünktlich, trotzdem warteten die Abgeber schon. Der Rüde hing im Geschirr und mimte den Wilden, vor allem als er Kashka sah. Die Formalitäten waren schnell erledigt, die Abgeber sichtlich froh, den Hund los zu sein. Bevor wir Falco noch in den Kofferraum setzen und uns verabschieden konnten, waren die beiden schon davon gebraust. Auch gut. So dramatisch, wie er uns geschildert worden war, benahm er sich auch wieder nicht, aber er war schon deutlich anstrengender als Kashka. Beim Spazierengehen versuchte er, über jeden Rüden herzufallen, der sich ihm näherte und jede Hundedame, die er in die Nase bekam, hätte er am liebsten mit neun bis elf Welpen beglückt.
Falco war zaundürr und
hatte ein strohiges, struppiges Fell, weil er vor lauter Hormonen kaum
Zeit hatte, einen Gedanken an Futter zu verschwenden. Angeblich konnte
man ihn nur mit HIPP-Gläschen und Hausmacherleberwurst ernähren -
woher nur sein Durchfall kam ??? Immerhin: Der Futterneid mit Kashka
veranlasste ihn bei uns dann doch, hastig seinen Napf zu leeren.
Sonntags hatten wir ihn übernommen, Montagabend sollte er zu seiner neuen Familie umziehen. Um ihm sein Leben wenigstens ein bisschen leichter zu machen, besuchten wir am Montagvormittag noch Kashkas Tierärztin. Die befand ihn für gesund, meldete aber Bedenken wegen seines unübersehbaren Hormonüberschusses an und riet mir dringend zu einer sofortigen Kastration. Nachdem wir aber nicht einen frisch operierten Hund in eine völlig fremde Umgebung abgeben wollten, bekam Lupo wenigstens einen kleinen chemischen Dämpfer gespritzt. So sollte er wenigstens etwas ruhiger werden und mal an etwas anderes als an den nächsten Wurf denken können. Eigentlich würde ich Kashkas Leib(tier)ärztin als pragmatischen und sachlichen Menschen beschreiben, aber Lupo nur mit einer Spritze gehen zu lassen, machte ihr sichtlich Sorgen.
Sie erzählte
von ähnlichen Fällen, in denen die Hunde mit ihrem Verhalten bei
Mensch und Tier für größte Probleme gesorgt hatten, weil die Besitzer
meinten, sie würden ihrem Rüden etwas „wegnehmen“, wenn er
kastriert wird. Stimmt auch, sagte sie, man nimmt ihnen viel Stress weg,
viel Ärger, viel Geschimpfe und noch mehr Unzufriedenheit. Ich konnte
die Tierärztin nur damit ein wenig beruhigen, dass Falcos neue Familie
bereits angekündigt hatte, ihn kastrieren zu lassen, sobald er sich
eingewöhnt hatte. Eine
Woche nach Falcos Umzug erreichte uns die Meldung, dass die Operation
durchgeführt worden war und es Falco schon wieder gut ging. Natürlich
war mit dem Eingriff nicht alles im Lot - schließlich ist das kein
Schalter, den man umlegt und der Sexualtrieb ist weg. Aber so war die
mittelfristige Perspektive geschaffen, dass Falco ein entspannteres
Leben würde führen können. |
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Trotzdem ging es schief.
Man kann in die Leute nicht hinein schauen und immer ist man auf ihre Aufrichtigkeit angewiesen. In diesem Fall war es damit offenbar nicht allzu weit her. Angeblich hatte sich die Dame des Hauses zwei Wochen Urlaub genommen, um Falco ein gutes Eingewöhnen zu ermöglichen. Tatsache war: Nachdem wir ihn am Montagabend gegen 21 Uhr verlassen hatten, wurde er am darauffolgenden Morgen auch von allen vier Familienmitgliedern verlassen: Alles gingen zum Arbeiten bzw. in die Schule, der Hund wurde sich selbst überlassen - und dem Haus. Und das ging -surprise, surprise- gründlich schief: Er machte sich an sämtlichen Tür- und Fensterrahmen zu schaffen und zerstörte jegliches Holz, dessen er habhaft werden konnte. Auch stellte er täglich gegenüber seiner Familie seine bekannte Dominanz unter Beweis und probierte -leider erfolgreich- aus, was man sich alles so leisten konnte. Dazu hatte sich sein rüpelhaftes Benehmen gegenüber anderen Rüden auch noch nicht wesentlich gebessert. Die beiden Kinder (15 und 17 Jahre alt) kamen mit dem Hund nicht zurecht, der Vater sah das als Problem der anderen an und so blieb die Dame des Hauses allein mit Falco und seinen Eigenheiten.
So war das nicht gedacht gewesen. Der Hund sollte zwar jung
und lebhaft sein, aber bitte nicht anstrengend. Wenig hilfreich dabei
erwies sich auch, dass niemand Kontakt mit der Nothilfe aufnahm, um das
Problem frühzeitig angehen zu können. Nur auf unsere drängelnden Faxe
und wiederholten Anrufe hin bekamen wir endlich die Auskunft, dass es
Schwierigkeiten gäbe. Ich
kann nicht sagen, ob es geklappt hätte, wenn Falcos Menschen sich früher
gemeldet hätten. Ich bin mir aber sicher, dass dann die Nerven eher für
eine zweite Chance gereicht hätten, die den Namen „Chance“ wirklich
verdient. Wir
haben versucht, die Familie zu beraten, haben sie in seitenlangen Faxen
und stundenlangen Telefonaten mit Tipps versorgt. Aber wenn man
keinerlei Geduld mehr aufbringt, bringen auch die bewährtesten Methoden
nichts mehr. Nachdem mir klar wurde, dass es so nicht mehr lange
weitergehen würde, habe ich der Familie angeboten, Falco wieder
abzuholen und darauf hingewiesen, dass ich in Kürze für drei Wochen
beruflich unterwegs sein würde und Falco dann nicht übernehmen könnte.
Da hieß es dann, man wolle Falco auf jeden Fall behalten. Um so besser! |
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An meinem Abreisetag kam dann in der Früh der Anruf, ich solle Falco sofort abholen, er hätte die Tochter gebissen. Letztlich stellte sich heraus, dass Falco sich mit einem anderen Hund in die Wolle bekommen hatte und die Tochter dazwischen gegangen war. Wie auch immer: Zu diesem Zeitpunkt war es mir unmöglich, Falco zu übernehmen - und die Auffangstation war voll. Also musste Falco dort noch drei Wochen ausharren. Falcos größter Fehler offenbar: Er war nicht Zorro, sein Vorgänger, obwohl er ihm doch ähnlich sah.
Die
Worte, die mir drei Wochen lang in den Ohren klangen: Eigentlich müsse
man Falco in die Waschküche sperren, damit er nichts mehr anstellen könnte,
hahaha. Aber natürlich sei das nur ein Scherz.
Es war offenbar keiner. Als ich Falco nach meiner Rückkehr übernahm, wurde mir noch vorsichtig angedeutet, er hätte in den letzten Wochen nur wenig Kontakt zu anderen Hunden gehabt. Kashka, Falco und ich sind erst einmal spazieren gegangen. Falco war ziemlich aufgedreht und fand alles unglaublich spannend; aggressiv kam er mir allerdings nicht vor. Das änderte sich schnell, als wir dem ersten Hund begegneten, einem -Verzeihung- ziemlich fetten Mops. Sein Speck hat ihm aber vermutlich das Leben gerettet: Falco stürzte sich ohne Vorwarnung auf ihn und versuchte ihn tot zu beißen. Ich war ziemlich erschrocken, konnte Falco aber recht schnell den Mops aus dem Maul winden. Die Drohung mit der Waschküche war -hahaha- offenbar wahr gemacht worden. Ab da war ich vorsichtiger.
Kashka blieb aber lange Zeit der einzige Hund, auf den
sich Lupo nicht stürzte. Was tun? Ich gebe zu, dass ich noch nie
Erfahrung mit so einem verhaltensgestörten Hund gesammelt hatte. Und
ich gestehe auch: am liebsten wäre ich ihn ganz, ganz, schnell
losgeworden. Aber mir war auch klar: So, wie sich Falco im Moment
benahm, war er nicht vermittelbar. Die Auffangstation war sowieso voll - also blieb uns nichts anderes übrig, als ihn vorläufig zu behalten. SO ging das aber nicht. Irgendwie mussten wir Falco die Grundformen des Anstands beibringen. Sein Hauptproblem waren ganz offensichtlich andere Hunde, vermutlich vor allem wegen seiner asozialen Haltung. Die Strategie hieß also: Falco mit jedem Hund konfrontieren, den wir irgendwo treffen können - und dabei vermeiden, dass Leichen unseren Spazierweg säumen. Wir sind zusammen in unser Hundefachgeschäft gegangen und haben für Falco ein ganzes Arsenal Beißkörbe gekauft: |
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Einen „Rundumschutz“, einen aus Nylon, der vorne offen ist und das
Trinken erlaubt, und ein Halti. Dieses „Hunde-Halfter“ sah mir nicht
besonders stabil aus, aber ich ließ mich in einem längeren
Beratungsgespräch über die Handhabung und Wirkungsweise davon überzeugen,
dass es zumindest einen Versuch wert war.
Im nachhinein
betrachtet gebe ich zu: Es wäre vermutlich sinnvoller gewesen, eine
Hundeschule zu besuchen und sich professionelle Hilfe zu holen - wir
dachten nur nicht, dass Lupo, wie wir Falco inzwischen nannten, so lange
bei uns bleiben würde. So ausgestattet, nahmen wir uns Münchens Hunde
vor...
Zunächst fiel Lupo über die Hunde des Ostparks her - als man
uns da nach wenigen Tagen nur noch mit lautem Geschrei begrüßte,
dehnten wir unsere Versuchsfelder aus, um die Nerven aller Beteiligter
etwas zu schonen. Er
verspannte nicht mehr beim Anblick jedes Hundes, sondern nur noch, wenn
ein ihm neuer kam. Das klingt nicht nach viel, wir aber waren mit diesem
ersten Meilenstein sehr zufrieden. Anfangs war an den Einsatz des Haltis nicht zu denken gewesen: Lupo führte bei jedem Hund einen derartigen Veitstanz auf, dass an ein vernünftiges und sachgemäßes handling nicht zu denken war. Nach den ersten Wochen unseres Konfrontationskurses und der langsamen Besserung aber wurde das Halti ein wichtiger Begleiter. Es gab Lupo das Gefühl von Freiheit und uns ein Gefühl von Sicherheit und die Chance jederzeit eingreifen zu können, wenn er wieder mal austickte. |
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Alle
Nachahmer seien gewarnt: mit zwei Hunden ist für einen Anfänger (wie
mich) ein Halti-Hund nicht zu führen. Ich halte mich für
durchschnittlich intelligent und motorisch einigermaßen geschickt, aber
die Handhabung mit zwei Leinen an einem Hund erfordert doch eine
ziemlich Konzentration. Für den zweiten Hund bräuchte man auf jeden
Fall eine dritte Hand und die meisten Menschen, die ich kenne, sind
diesbezüglich minderbemittelt. Auch kann und soll das Halti nicht eine
Dauerlösung sein, sondern soll nur zur Unterstützung dienen, um dem
Hund etwas mit sanfter Gewalt beizubringen. Ja, Gewalt, denn bei allem
vorsichtigen Einsatz und sachgemäßen Anwendung ist es doch ein recht
radikales Mittel, um dem Hund seinen Willen aufzuzwingen. Gewalt heißt
hier nicht Schmerz, bedeutet aber doch Radikalität. Leider sieht man
auch immer wieder Menschen, die ihren Hund am Halti führen, ohne
eingewiesen worden zu sein. Einen dicken Karabinerhaken an einem Halti
zu befestigen und ohne eine Haltiführleine daran umzureißen, bedeutet
dann nämlich tatsächlich Gewalt im Sinne von Schmerz - und das ist
eben NICHT der Sinn eines Haltis.
Es
war ein langer Weg, Lupo wieder soziale Verhaltensweisen anzugewöhnen.
In seiner Beißkorbzeit legte er sich eine ausgefeilte Boxtechnik zu, so
dass er Hunde, die er nicht mit den Zähnen reglementieren konnte, mit
seinen muskulösen Beinen traktierte. Wir kamen auch öfters in den „Genuß“
dieser Tritte und waren uns sicher: als Mensch hätte er sämtliche
Tysons, Holyfields und Klitschkos dieser Erde im Griff. Die
circa sechs Wochen, die ich mit Lupo wir-treffen-einen-bekannten/unbekannten-Hund-und-fallen-ihn-nicht-an
übte waren anstrengend und zeitaufwändig und manchmal hatte ich das
Gefühl, nur noch auf der Straße bzw. auf den diversen Grünflächen in
und um München zu leben. Trotzdem: Der Erfolg gab dem Konzept recht. |
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Als Lupo wieder grundsätzlich gesellschaftsfähig war, meldete ich uns zu einem Tellington-Touch-Kurs an. Für Lupo (und mich) war das eine große Herausforderung, ein Wochenende lang mit elf anderen Hunden auf engstem Raum zusammen zu arbeiten - und zugleich ein großer Erfolg. Nicht nur, dass ich viele „Kniffe“ lernte - wir hatten ein Wochenende nur für uns, was unserem manchmal nicht ganz ungetrübten Verhältnis spürbar gut tat.
Lupo wird nie ein einfacher Hund sein. Er ist sehr dominant, auch wenn er inzwischen wenigstens nicht mehr täglich die Frage stellt, wer denn Chef sein soll. Wir spielen alle Dominanz-Spielchen mit ihm: Er bekommt als letzter zu fressen, er darf zu letzt durch die Türe, er muss warten, wenn es ums Bürsten geht, er ist zweiter beim Tierarzt - was ihm vielleicht manchmal gar nicht so unrecht ist. Trotz allem: Er ist ein unglaublicher Schmuser, immer für Streicheleinheiten und auf-dem-Boden-kugeln zu haben. Ein Scherzkeks, manchmal richtig gehend albern und immer zu Streichen aufgelegt. Gerissen, unglaublich schlau, draufgängerisch und doch überaus sensibel. Lupo ist selbstbewusst, stolz und tapfer und weiß sich in Szene zu setzen. Er kann den Arroganten genauso gut geben wie den Welpen und den Wilden ebenso gut wie den reumütigen Sünder spielen. Er hat sich seinen Spitznamen Schimanzki redlich verdient. Lupo hat uns allen viel Zeit und Nerven gekostet, auch Kashka. Hätte man mich gefragt, ob ich gerne einen schwierigen, desozialisierten und dominanten Hund aufnehmen möchte, ich hätte vermutlich dankend abgelehnt. | ![]() |
Andererseits: Wenn ich Lupos unglaublich positive Entwicklung betrachte und bedenke, wie sehr er sich auch immer Mühe gegeben hat zu begreifen, was denn die schon-wieder-neuen-Menschen nun schon wieder wollen - es hat sich gelohnt. Wir sind die vierten Besitzer geworden, in Lupos damals gerade einjährigen Hundeleben
Wir haben -notgedrungen- die Verantwortung übernommen, Lupo die Chance zu geben, die er nie richtig bekommen hat. Und die er, als man ihm die Zeit gab und ihm die Geduld und Aufmerksamkeit zollte, die ein junger Hund nun mal ganz besonders braucht, auch nutzte. Ein Hund, der in einem so jungen Leben schon so viele verwirrende und auch schlechte Erfahrungen machen musste, und alle Hunde, die dem Tierschutz überantwortet wurden, weil ihre Menschen versagt haben, haben diese Chance verdient. Und noch eine. Und noch eine. Den Hund als „schwierig“ einfach zurück zu geben ist zu einfach. Wer gibt seinen PC zurück, weil er die Programme nicht von Anfang an beherrscht? | ![]() |
Vermutlich beschäftigen sich die meisten Menschen mehr mit ihrem Computer und dessen Programmen als mit ihrem Hund und dessen Verhaltensweisen - dabei könnte der Hund soviel mehr zurückgeben, auch wenn er niemals die Tabellenkalkulation übernehmen wird. Der Hund braucht nur die Chance, dass er das beweisen darf, was er kann. Geben Sie ihm die. Auch in einem vermeintlich verhaltensgestörten, in einem kranken, in einem alten Hund steckt ein oft ungeahntes Potenzial, das es nur zu entdecken gilt. Manchmal, das gebe ich zu, habe ichs satt. Und in den anderen 99 % bin ich froh, dass wir für die kleine Prinzessin Kashka noch so einen mutigen, edlen und gelegentlich tollkühnen Ritter gefunden haben, der längst nicht mehr Gast, sondern wichtiges und hochgeschätztes Mitglied unserer kleinen Familie ist.